So viel Ruhe gab es wohl selten in der Turnhalle im Auwald Stadion in Immenstadt: Über 100 Karateka, die aus ganz Deutschland angereist waren, standen geduldig in sechs Reihen, während ein kleiner, alter Japaner mit langem weißen Bart durch die Reihen schlürft und die Teilnehmenden genau ausrichtet. Dabei handelt es sich jedoch nicht um irgendwen sondern um den 76 jährigen Karate Großmeister Hideo Ochi. Er zählt zu den weltweit renommiertesten Karatelehrern und ist Chefausbilder des DJKB in Deutschland. Für dieses Wochenende ist er nach Immenstadt gereist, um hier sein Wissen weiterzugeben. Für Ochi ist Präzision und Genauigkeit besonders wichtig. Deswegen nimmt er sich viel Zeit, alle Teilnehmenden in exakten Reihen auszurichten, bevor das Training richtig beginnt.

Dann geht es los: Auf Kommando von Ochi bewegen sich alle Karateka mit einem lauten Kampfschrei gleichzeitig vorwärts. Der ehemalige Weltmeister und Bundestrainer läuft zwar nur langsam durch die Reihen, doch seine klaren Augen sind überall. Jeden kleinen Fehler entdeckt und verbessert er. Dabei lacht er oft und ermuntert die Kindern mit einen Klaps auf die Schulter.

Ochi ist Träger des Bundesverdienstkreuzes und kommt durch seine freundschaftliche, bescheidene Art bei den Kindern besonders gut an. Vom KD Stein sind sehr viele Kinder und Jugendliche mit dabei und folgen seinen Ausführungen gebannt. „Die Arbeit mit den Kindern ist besonders wichtig“, betont Ochi später, der sich viel Zeit nimmt, individuell die Bewegungen der jungen Karatekas zu korrigieren.

Die 8 jährige Maja ist begeistert: „Ich habe zwar nicht immer verstanden was er gesagt hat… aber Ochi ist wirklich total cool und wenn ich einmal so alt bin wie er, will ich auch immer noch Karate machen“. Ihre Freundin Lea ergänzt, dass es „voll Spaß gemacht hat in einer so großen Gruppe gemeinsam mit den Erwachsenen“ zu trainieren.

Auch der 14 jährige Bundeskaderathlet Simon, der im TV Stein trainiert, zieht ein positives Fazit: „Es macht immer wieder Spaß bei einem Lehrgang mit so vielen anderen gemeinsam zusammen zu trainieren. Und Ochi ist einfach eine Legende.“

Die Ausrichtung eines solchen Lehrgangs ist zwar jede Menge Arbeit, lohnt sich aber auf jeden Fall: Alle Teilnehmer sind rund um zufrieden gewesen und auch die zahlreichen Gäste, die im Publikum zugeschaut haben, konnten einen Eindruck von Karate gewinnen. Es wurde deutlich, dass die Sportart tiefgründiger ist, als sie in Actionfilmen oft dargestellt wird. Die Schulung von Geist und Charakter gehört auch dazu. Ein Zitat von Gichin Funakoshi, dem Gründer des Shotokan-Karate, verdeutlicht dies: „Bevor du den Gegner besiegst, musst du dich selbst besiegen.“

Ein Teilnehmer, der 56 jährige Matthias äußert sich begeistert: „Dank Karate bin ich nicht nur ausgeglichener und geistig fit, sondern auch beweglicher. Auch mein Sinn fürs Gleichgewicht hat sich verbessert“. Er habe zwar jeweils Muskelkater, „aber es tut einfach gut“. Tatsächlich: Karate fördert neben dem Körper auch Geist und Gedächtnis. Das haben auch Forscher der Universität Regensburg bestätigt: Sie verglichen Karate begeisterte Senioren mit solchen, die nur ihren Körper oder nur ihren Kopf trainierten. In Merk- und Fitnesstests waren die Karateka schließlich beiden anderen Gruppen überlegen. Die Forscher kamen zum Schluss, dass Karate Körper und Geist bis ins hohe Alter fit halten kann.

Ochi, das beste Beispiel dafür, ergänzt: „Die entscheidende Voraussetzung, Karate bis ins hohe Alter zu trainieren, ist eine saubere und korrekte Grundschule. Wichtig ist, dass man die Bewegungen des Karate stets richtig ausführt.“

Während zu Beginn des Lehrgangs die Teilnehmenden noch getrennt nach Könnensstufen trainiert wurden, so findet am Ende des Tages eine gemeinsame Trainingseinheit statt. Anfänger und Kinder stehen ganz links und die erfahrensten und ältesten Karateka ganz rechts. Doch schon bald löst Ochi die strenge Trennung auf und lässt Jung und Alt Kampfübungen gemeinsam miteinander üben. So kämpft beispielsweise ein vierzig jähriger Schwarzgurt mit einer 6 jährigen Weißgurt-Trägerin, die ihm gerade einmal bis zur Hüfte reicht. Eine Kombination, die in kaum einer anderen Sportart realisierbar wäre. Doch im Karate: Beide Partner verbeugen sich tief voneinander und üben miteinander im Zeichen von Respekt, Höflichkeit und Wertschätzung.

Auch zum Ende des Trainings, nimmt sich Ochi wieder Zeit, damit alle Teilnehmer exakt in ihren Reihen stehen. Präzision ist ihm wichtig, von Anfang bis Ende. Dann ruft Ausrichter Martin Daumiller, der ganz rechts steht, „Mokuso“. Das ist das Signal für den Abgruß der Karateka. An der Wand hängen Bilder von Gichin Funakoshi und Masatoshi Nakayama, den Gründervätern des modernen japanischen Karate. Die Karateka knien auf dem Boden, schließen die Augen, halten kurz inne, reflektieren was sie heute gelernt haben und verbeugen sich. Selbst die Jüngsten wissen bereits: Karate und Geist, das gehört zusammen.

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